Herbst, 2025. Wieder einmal grassiert die Vogelgrippe, wieder einmal werden in Geflügelbetrieben Hunderttausende Tiere getötet, um die Ausbreitung der Seuche zu verhindern bzw. zu verzögern. Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer (CSU), von Markus Söder liebevoll als „Der schwarze Schlachter“ geadelt, will jetzt die Obergrenze für Entschädigungszahlungen aus der öffentlichen Hand von 50 auf 110 € mehr als verdoppeln, damit die Geflügelbetriebe für jedes zur Seuchenprävention getötete Tier mit dem Marktpreis entschädigt werden.
Wo ist das Problem?
Wer sich zu Beginn dieses Textes nicht an der Formulierung „wieder einmal“ gestört hat, teilt offenbar die Ansicht, dass Vogelgrippe eine inzwischen recht häufig wiederkehrende Seuche ist. Das heißt: Sie ist erwartbar. Und damit ist die wirtschaftliche Absicherung von damit verbundenen Schäden von Geflügelbetrieben ein Fall für Versicherungen und nicht für die öffentliche Hand. Mit Entschädigungen aus Steuermitteln muss die Gemeinschaft der Steuerzahler:innen ein betriebliches Risiko absichern – noch dazu in diesem Fall in einer Branche, deren Produkte viele aus guten Gründen (Tierschutz, Umweltschutz, Klimaschatz) grundsätzlich ablehnen.
Was wäre die Alternative?
Geflügelbetriebe müssten sich gegen seuchenbedingte Schäden versichern. Dadurch würden die betrieblichen Grundausgaben etwas steigen und Geflügelfleisch und Eier würden etwas teurer. Die Kosten der Produkte würden dann (zumindest etwas mehr) die wahren Kosten widerspiegeln, eben weil es in dieser Branche zum Betriebsrisiko gehört, dass ganze Bestände zur Verhinderung der Seuchenausbreitung geschlachtet werden (müssen).
Was ist der größere Kontext?
Wenn die „unsichtbare Hand“, also die vielbeschworene lenkende Funktion des Marktes in eine wünschenswerte Richtung steuern soll, müssen die Preise von Produkten deren „wahre Kosten“ möglichst vollständig widerspiegeln. Wenn der Markt zum Beispiel auch gewährleisten soll, dass der Gesellschaft durch bestimmte Produkte und deren Produktion oder Konsum keine Kosten und Schäden entstehen, müssen mit der Produktion oder den Produkten verbundene Risiken und Nebenwirkungen in den Produktpreisen internalisiert werden. Davon sind wir aber in den meisten Bereichen Lichtjahre entfernt, sodass der Markt auf einem Kurs steuert, bei dem viel Schaden entsteht und in Zukunft noch viel mehr Schaden entstehen wird – wirtschaftlicher Schaden und mit Geld nicht angemessen zu beziffernder Schaden für Gesundheit und Lebensqualität.
Beispiele gefällig?
Fast alle Produkte, die wir kaufen und konsumieren, sind klimaschädlich, aber natürlich in sehr unterschiedlichem Maße. Und das wirkt sich bisher viel zu wenig auf deren Preise aus – mit dem Resultat, dass der Markt uns weiter in die Klimakrise steuert, da klimaschädliche Produkte und Praktiken viel zu günstig sind, weil sie die Kosten, die durch die Klimakrise entstehen, nicht abbilden. Nötig wäre nicht nur ein wesentlich höherer und alle Sektoren einschließender CO2-Preis, sondern auch Subventionen etwa für energieintensive Industrien – Stichwort Industriestrompreis – und für klimaschädliche Mobilität zu beenden – siehe zum Beispiel Pendlerpauschale und Steuerfreiheit von Kerosin.
Aber die Produktion und der Konsum sehr vieler Güter sind nicht nur klimaschädlich, sondern sind auch mit anderen negativen Umweltauswirkungen verbunden – sei es durch den Flächenverbrauch, durch die Rohstoffgewinnung oder durch Schadstoffeinträge. Durch die hohe Nitratbelastung des Grundwassers insbesondere in Regionen mit hoher Nutztierdichte entstehen für die Allgemeinheit Gesundheitsgefahren und höhere Kosten für die Wasseraufbereitung. Auch dies ist in den Kosten für Tierprodukte nicht eingepreist. Atomstrom hätte es übrigens nie zu auch nur halbwegs marktfähigen Preisen gegeben, wenn die Haftung entsprechenden Konzerne im Falle von nuklearen Katastrophen nicht gesetzlich massiv gedeckelt gewesen wäre. Auch hier hat also der Staat und damit die Allgemeinheit einen großen Teil des wirtschaftlichen Risikos übernommen, während private Konzerne die dadurch überhaupt erst möglichen Gewinne eingestrichen haben.
Neben Umwelt- und Klimaauswirkungen sollten natürlich auch gesundheitliche und soziale Risiken und Nebenwirkungen für Einzelne und für die Gesellschaft, die von einer Vielzahl an Produkten ausgehen, bedacht werden. Als Beispiel genannt seien hier die Schäden für physische und psychische Gesundheit und die Beeinträchtigungen der Lebensqualität, die durch den Konsum von Alkohol und Tabak entstehen können – und zwar nicht nur durch eigenen Konsum, sondern auch durch den Konsum anderer.
Wer sollte wen entschädigen müssen?
Konkreter Ausgangspunkt dieses Textes war: Die Allgemeinheit sollte nicht Geflügelbetriebe entschädigen, die sich nicht gegen ein kalkulierbares Risiko abgesichert haben. Auf einer abstrakteren Ebene ist das Plädoyer dieses Textes, externalisierte Kosten zu internalisieren, anstatt nicht nur externe Kosten, sondern auch betriebswirtschaftliche Risiken der Allgemeinheit aufzubürden, während die Gewinne natürlich stets bei den privaten Akteuren bleiben. Aber wenn der Markt besser regeln soll als er es derzeit tut, wer sollte dann wen und wie entschädigen müssen? Das auch aus einer Gerechtigkeitsperspektive logische Prinzip sollte sein, dass die Produzent:innen und Konsument:innen von Produkten, die mit ökologischen, gesundheitlichen oder sozialen Risiken und Nebenwirkungen verbunden sind, die entstehenden Kosten tragen, die Schäden beheben oder ausgleichen und etwaige Risiken absichern sollten. Je nach dem, ob die Risiken und Nebenwirkungen primär von der Produktion oder dem Konsum ausgehen, sollten sie möglichst an der Stelle auch eingepreist werden. Das kann natürlich auch auf beiden Seiten sein.
Ein Beispiel: Autos gehen schon in der Herstellung mit einem hohen Ressourcen- und Energieaufwand einher. Der Großteil ihrer schädlichen Wirkungen geschieht jedoch mit ihrer Nutzung, denn dabei wird im Laufe eines Autolebens in der Regel noch deutlich mehr Energie verbraucht als bei der Herstellung, was je nach Antriebsart mit hohen CO2-Emissionen verbunden ist, und dabei entstehen die negativen Auswirkungen für Gesundheit und Lebensqualität, die von Abgasen, Lärm, Unfallgefahr und dem hohen Platzbedarf für Straßen und Parkplätze ausgehen. Die Wirkung von CO2 ist global und die Klimakrise wirkt weit in die Zukunft. Lärm dagegen wirkt sehr lokal und betrifft vor allem die Anwohner:innen von vielbefahrenen Straßen sowie die Menschen, die viel im öffentlichen Raum unterwegs sind oder sich dort aufhalten wollen oder müssen. Die Internalisierung der Klimakosten z. B. über einen angemessen hohen CO2-Preis sollte also der Bekämpfung der Klimakrise, also vor allem der Transformation zur Klimaneutralität, sowie der Kompensation von künftigen Klimaschäden zufließen. Die Kosten und Schäden durch Abgase und Lärm könnten z. B. durch städtische Mautsysteme stärker eingepreist werden. Die Einnahmen könnten zum Teil dem Gesundheitssystem, dem Lärmschutz, der Kompensation von Betroffenen und der Förderung weniger schädlicher Mobilitätsoptionen zugeführt werden. Die Einnahmen aus einer breiteren Parkraumbewirtschaftung könnten dazu dienen, den Parkraum gemeinwohldienlicher zu nutzen (z. B. durch Investition in PV-Überdachungen), den Parkplatzbedarf zu verringern und stattdessen den öffentlichen Raum für alle attraktiver zu machen.
Kann es den perfekt steuernden Markt geben?
Nein. Es ist aus verschiedenen Gründen völlig unmöglich, alle Kosten, Schäden und Risiken zu beziffern und in Geld auszudrücken, die mit der Produktion und dem Konsum verschiedener Güter und Dienstleistungen verbunden sind. Dennoch ist es in vielen Fällen sicher sinnvoll, externalisierte Kosten stärker zu internalisieren – und das auf möglichst sozial verträgliche und gerechte Weise. Mindestens genauso wichtig ist aber, dass wir uns als Gesellschaft der vielfältigen externalisierten Risiken und Nebenwirkungen unserer Lebensweise bewusster werden und damit ehrlicher und reflektierter umgehen. Es sollte uns ein kollektives Anliegen sein, unsere Produktion und unseren Konsum Stück für Stück so zu verändern, dass wir unsere Bedürfnisse mindestens so gut wie heute befriedigen können, während wir die ökologischen, sozialen und gesundheitlichen Risiken und Nebenwirkungen aber deutlich verringern.
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